Online-Workshop – "Do not touch!?"

Questions of Preservation, Transformation, and Sustainability of Landscape as Cultural Heritage

Gemeinsamer Online-Workshop, Zentrum für Landschaft und Kultur, Universität Tallinn und IFZO, Universität Greifswald, 4. Mai 2020

Bericht

„Do Not Touch!?“ – der Titel des Workshops erhielt jenseits der intendierten Fokussierung auf Fragen der Erhaltung und Wahrnehmung von Landschaften als kulturelles Erbe eine aktuelle Bedeutung angesichts der derzeitigen Kontaktbeschränkungen. Der ursprünglich in Tallinn geplante Workshop „Do Not Touch!? Questions of Preservation, Transformation, and Sustainability of Landscape as Cultural Heritage“ fand daher am 4. Mai 2020 als gemeinsame Online-Veranstaltung statt, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der IFZO-Cluster Nachhaltigkeit und Zur Gegenwart des kulturellen Erbes sowie des an der Universität Tallinn angesiedelten Centre for Landscape and Culture organisiert wurde.

Sind Landschaften Teil des kulturellen Erbes? Diese grundlegende Frage stand im Mittelpunkt des Workshops, auf dem verschiedene Überlegungen zum Konzept der Kulturlandschaft vorgestellt wurden. Zwischen den Dimensionen von Erhalt und Nutzung der Kulturlandschaften entspann sich ein lebhafter Dialog über die Veränderung von Kulturlandschaften und die Transformation des Landschaftskonzeptes.

Michael North (Universität Greifswald) und Hannes Palang (Universität Tallinn) führten mit zwei unterschiedlichen Ansätzen in die Thematik ein: Während North konzeptionell die Perspektive des Erinnerungsortes wählte, diskutierte Palang das Konzept der kulturellen Nachhaltigkeit und dessen Einfluss auf die Bestimmung von Kulturlandschaften. Michael North erläuterte anhand des Øresunds, wie sich dieser als Wasserstraße und Zugang zur Ostsee, Sundzollstelle, Grenze und Transportweg zu einem identitätsstiftenden Erinnerungsort einer ganzen Region entwickelte. Hierfür steht heute nicht zuletzt auch die Øresund-Brücke. Hannes Palang erörterte den Einfluss des Nachhaltigkeitsbegriffs auf die Konzeption von Kulturlandschaft als Teil des kulturellen Erbes. Kulturlandschaften werden vom Menschen gestaltet. Daher könne diese Landschaften als Archiv aufgefasst werden, in denen Gestaltungswille und Handeln des Menschen sichtbar bewahrt werden. Wie ist mit dieser Vergangenheit umzugehen? Zwischen Cosgrove und Lotman resümierte Palang, dass eine Landschaft dann nachhaltig sei, wenn es gelingt, historische Relikte und Spuren der Gestaltung einer Landschaft im Einklang mit der Gegenwart zu erhalten. Die Dynamiken der gesellschaftlichen Konstruktion von Erinnerungsorten und kulturellen Landschaften verlaufen im Grunde gleich, wie die anschließende Diskussion erbrachte. Das in den Geschichtswissenschaften unter anderem von Pierre Nora entwickelte Konzept des Erinnerungsortes bzw. lieu de mémoire, und die aus der Geographie stammende Kulturlandschaft vereint die Idee eines „Archivs“ kulturellen Handelns.

Ländlicher Raum und Mobilitäten zwischen Urbanität und Wildnis kontextualisieren Raili Nugins (Universität Tallinn) Überlegungen zu kulturellen Landschaften und deren Wahrnehmung als Erbe. Kontinuierlich einem Wandel unterworfen, ist das Ländliche auch nostalgische Projektion. Sie wirkt als Triebfeder und Stimulans für den Umgang mit kulturellem Erbe unter anderem durch Renovierung und andere Formen der Aneignung. Nugin benutzte hierfür den Begriff des living rural heritage.

Stefan Ewert (Universität Greifswald) ergänzte das Ländliche um die historische Landschaft der Moore. Gegenwärtig reüssieren Moore in den globalen Umweltdebatten als CO2-Speicher und Erbringer weiterer ökologischer Serviceleistungen. Dabei kollidiert die Restaurierung trocken gelegter Moore jedoch häufig mit der historischen Idee der Kultivierung von Mooren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die derzeit forcierte Vernässung oder Restaurierung von Mooren auch als eine Form der kulturellen Verwilderung zu verstehen wäre. Ist „Wildnis“ noch als Gegenkonzept zur „Kulturlandschaft“ zu verstehen?

In der Diskussion beider Beiträge erkannte Eckhard Schumacher (Universität Greifswald) die enge Verwandtschaft von Renovierung und Wiederherstellung im ländlichen Raum mit Praktiken der Archivarbeit. Sie sind jeweils als Praktiken der ‚Vergegenwärtigung’ erkennbar. Sind Moore also nicht auch Archive einer Kulturlandschaft? Ihr Erhalt ist somit auch aktive Bewahrung und Aktualisierung von kulturellem Erbe.

In den Kontext von Transformation und Renovierung kulturellen Erbes gehört auch die Neuerfindung und Weiterentwicklung. Sie bildeten den Fokus der nächsten beiden Beiträge von Antje Kempe (Universität Greifswald), Anu Printsmann (Universität Tallinn) und Tarmo Pikner (Universität Tallinn). Antje Kempe exemplifizierte anhand gegenwärtiger Stadtentwicklungsprojekte Kopenhagens eine Neuerfindung maritimer Landschaften: Im Øresund gelegen, werden einstige Hafen- und Industrieanlagen revitalisiert. Dieser Vorgang geht mit einer Insularisierung der Stadt einher, die den Topos der Hafenstadt als modernen Sehnsuchtsort neu bestimmt.

Anu Printsmann und Tarmo Pikner problematisierten in ihrem Beitrag den Umgang mit Küstengebieten und deren Revitalisierung in den vergangenen Jahren. Mittels einer umfassenden Aufnahme von Orten und Landschaften der gesamtem nordestnischen Küstengebiete erläuterten sie anhand von ausgewählten Orten, wie sich deren Nutzung über die letzten zwei Jahrzehnte aufgrund von ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen veränderte. Ihre Ausführungen schlugen dabei einen Bogen zu den anfangs von Hannes Palang aufgeworfenen Fragen nach kultureller Nachhaltigkeit im Kontext von Transformationsprozessen.

Die Abschlussdiskussion brachte die verschiedenen Perspektiven zur vergleichbar dynamischen Gestaltung von Kulturlandschaften und kulturellem Erbe auf den Punkt: „Do Touch“ sollte das Gebot sein, wenn es darum geht, das Erbe lebendig zu halten und nicht in die Musealisierungsfalle zu tappen. In den Beiträgen und Diskussionen zum Thema „Kulturlandschaften“ wurde sein Potential für die Forschung deutlich, das in weiteren gemeinsame Projekten ausgeschöpft werden wird. Zudem zeigte sich deutlich, dass die Nachhaltigkeitsdebatten sehr an Konturen gewinnen, wenn die Tallinner Ansätze einer kulturellen Nachhaltigkeit eng kombiniert mit den Greifswalder Ansätzen zur Nachhaltigkeitsforschung betrachtet und diskutiert werden.

 

- Alexander Drost, Stefan Ewert, Antje Kempe