Sexualisierte Fremde. Juden- und islamfeindliche Rhetoriken in der postkommunistischen Ostseeregion

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Leitung: Dr. Anna Novikov


Inhalt

Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, wie gespalten die europäische Gemeinschaft in Fragen der Aufnahme und Umverteilung insbesondere von muslimischen Geflüchteten ist. Insbesondere wandten die Staaten des östlichen Ostseeraums – Estland, Lettland, Litauen, Polen – sich vehement gegen eine Aufnahme und begründeten dies mit einem Gemisch aus Ängsten vor Überfremdung, ökonomischen Überlastungen und sozialem Abstieg. Dabei ist in allen diesen Ländern der Anteil muslimischer Zuwanderer*innen im Vergleich zu Frankreich, Griechenland und Italien verschwindend gering. Allerdings haben sie eine gemeinsame Vergangenheit in der Instrumentalisierung von Stereotypen und ideologisierter Fremdenfeindlichkeit gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese Stereotypen aus den deutschsprachigen Gebieten kamen, lokal adaptiert wurden und sich primär gegen die im Ansiedlungs-Rayon ansässigen ashkenasisch-orthodoxen Gemeinden richteten, kommen heute die antimuslimischen Stereotype aus internationalen neu nationalistischen Bewegungen und benötigen keine ansässige Minderheit, um Gewaltpotential und Hass zu schüren. Die unzureichende Aufarbeitung der Kollaborationen lokaler Bevölkerungen im östlichen Ostseeraum mit dem nationalsozialistischen Deutschland im Holocaust kann ein Grund sein, warum religiöse Minderheiten nach wie vor eine zentrale Rolle in dystopischen nationalistischen Narrativen spielen. Historisch übergreifend ist ein wiederkehrendes zentrales Motiv die (sexualisierte) Gewalt jüdischer und muslimischer Männer gegenüber Frauen im Allgemeinen und europäischen Frauen im Besonderen. Vor diesem Hintergrund wird dieses Bereich das sexualisierte Bild der „muslimischen Bedrohung“ in seiner spezifischen Ausprägung im östlichen, postkommunistischen Teil des Ostseeraums analysieren. Es sammelt und analysiert die historischen Gemeinsamkeiten in den Stereotypisierungen und untersucht die lokalen Spezifika. Ebenso wie historisch die antisemitischen Stereotypen sowohl zur nationalen Selbstvergewisserung als auch zur Definition der eigenen Position gegen Preußen einerseits, Russland andererseits dienten, werden antimuslimische Stereotype heute benutzt, um eine gemeinsame Haltung innerhalb der EU zu befestigen, die in der Ablehnung gemeinsamer Asylpolitiken mündet.