Kickoff-Workshop – Energie

Challenges of the Energy Law and Policy Framework in the Baltic Sea Region

Bericht

Der Energiestandort Greifswald hat mit dem Kernfusionsreaktor „Wendelstein 7-X“, den Anlandungen der Gaspipelines Nord-Stream 1 und 2 sowie dem ehemaligen Kernkraftwerk Lubmin und seines Rückbaus überregional Bedeutung in den Bereichen der Energiewirtschaft und Energiepolitik gewonnen. Folgerichtig bilden Forschungen zum Energiemarkt und zur Energiepolitik einen eigenen Schwerpunkt innerhalb des Interdisziplinären Forschungszentrums Ostseeraum (IFZO). Das Cluster untersucht neben den Auswirkungen und Erfordernissen des Energiewandels in Deutschland und Europa insbesondere die herausfordernden nationalen Eigenheiten und transnationalen Bemühungen um einen entstehenden Energiemarkt „Ostsee“, wie Michael Rodi und Farid Karimi in ihren Einführungen des Kickoff Workshops am 4. und 5. Juli 2019 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg erläutern. Energie im Ostseeraum ist nicht nur ein ökonomisches Thema, sondern wird zu einem Sicherheits-, Umwelt-, Nationalismus- und Kulturthema, in dem sich verschiedene Markt- und Politikinteressen verschränken.

Margarita Balmaceda (South Orange/ Boston) eröffnete mit Ihrem inspirierenden Vortrag zum Thema „Nord Stream, Ukraine, and New Conceptualizations of Energy Space“ die Diskussion um die räumliche Ausdehnung eines Energiemarktes im Ostseeraum und dessen Trägheit, sich von den Altlasten sowjetischer Strukturen und deren Bevorzugung fossiler Brennstoffe im östlichen Teil der Ostsee zu lösen. Hierbei betonte sie auch die Ambiguitäten im Umgang mit den russischen Wertschöpfungs- und Vertriebswegen, die auf politischer Ebene bei den Nachbarn in den Baltischen Staaten, der Ukraine und Polen häufig auf Ablehnung treffen, wirtschaftlich aber ohne Alternative sind und deshalb weiterhin eine enge Anbindung besteht. Ihre Reflektion verschiedener Raumkonstruktionen unterscheidet grundlegend zwischen dem Raum der Energieproduktion und dem des Energietransports. Die früheren Staaten der Sowjetunion sind nach wie vor stark an die Energieproduktion Russlands gebunden und bilden beispielweise in Hinblick auf das Erdgas einen Baltisch-Finnischen Gasmarkt. Zudem können die Baltischen Staaten und die Ukraine auch als Brückenköpfe nach EU-Europa für die russische Energieproduktion gesehen werden. Aus der Sicht des Energietransports zeigt sich ein anderer Raum, der entweder als Punkt-zu-Punkt Leitungssystem konzeptualisiert werden kann, oder in Form von Zonen und Hubs. Letzteres betrifft insbesondere zukünftige Infrastrukturen, die traditionelle Leitungssysteme und beispielweise die mit Ihnen generierten Wertschöpfungen in Form von Durchleitungsgebühren in Frage stellen würden. In diesem Kontext sind beispielsweise zahlreiche Widerstände östlicher Partner gegen das Nord-Streamprojekt zu betrachten, obgleich auch dieses den traditionellen Punkt-zu-Punkt Transfer verfolgt. Und die Ukraine beispielsweise unterstützt diese russische Wahl der Infrastruktur wie auch andere Staaten in dem alten sowjetischen System. Hierbei ist nicht zu unterschätzen, dass diese hergebrachten Strukturen auch die fossilen Brennstoffe zur Energiegewinnung bevorzugen, weil die zahlreichen Windparks in Nord- und Ostsee eher ein Zonen- oder Hubmodell zur Distribution ihrer Energien benötigen.

Diese neuen Distributions- und Lieferwege vor dem Hintergrund der Energiewende stellte Anika Nicolaas Ponder (Berlin) mit ihrem Vortrag zum Thema „Meshed offshore grids in the Baltic Sea: Insights from the Baltic InteGrid“ vor. Hierbei geht es um die energiepolitische und rechtliche Erforschung der Grundlagen für Energiehubs und Netzwerke, die beispielsweise die Energie der Offshore-Windparks der Ostsee unter einander und mit den Netzwerken zum Weitertransport an Land verbindet. Hierfür werden einerseits Informationsforen wie das „Baltic Offshore Grid Forum“ veranstaltet und andererseits mit dem „Baltic Offshore Grid Concept“ Grundlagen für die aktive Politik- und Rechtsberatung mit entsprechenden Forschungsergebnissen geschaffen, die sowohl erkenntnisbasierte Ergebnisse für die Umsetzung innovativer Energienetzwerk- und Transferlösungen liefern als auch den diskursiven Rahmen für die neuen Konzepte setzen. So werden für die Installation neuer Stromleitungskonzepte Kosten- und Nutzenanalysen durchgeführt, die Marktanalysen, die Auswirkungen auf küstennahe Industrieansiedlungen und Wirtschaftsentwicklungen im Zusammenhang mit den Windfarmen haben (können). Zusätzlich werden innovative Technologien auch von ihrer technischen Seite sowie Umwelt- und Sozialimplikationen im Baltic InteGrid-Projekt erforscht. Der transnationale Ansatz unterstützt die vergleichenden Kosten-Nutzen-Analysen beispielsweise für Polen-Schweden-Litauen oder Deutschland-Schweden-Dänemark in der Umsetzung von Gridlösungen und wird hierdurch den sehr komplexen Energiestrukturen in einer der am intensivsten wirtschaftlich genutzten Seeregionen der Welt gerecht. Mit den Analysen wird auch versucht, den traditionellen, veralteten und auf Kohle und Nuklearenergie zielenden Gridsystemen und dem damit verbundenen Denken entgegenzuwirken und neuen Lösungen sowie den damit verbundenen notwendigen rechtlichen und politischen Ansätzen eine Plattform zu geben.

Dass diese neuen Lösungen dringend notwendig sind, zeigt der Überblick von Maksymilian Zoll (Darmstadt), der über „Poland  low carbon energy transition as multi-level governance coordination phenomenon: national legacies, state governance, and external influences“ sprach. Dabei zeigte Zoll deutlich, mit welchen Schwierigkeiten eine Energiewende von Kohle auf nachhaltigere Rohstoffe sowohl strukturell als auch politisch zu kämpfen und weshalb diese Wende in Polen kaum an Fahrt aufgenommen hat. Das simple Bild von „schlechter“ Kohle und „guten“ erneuerbaren Energien wird beispielsweise von einem sicherheitspolitischen Diskurs herausgefordert bzw. überlagert. Die Erfahrungen der Gasverknappungen durch Russland seit dem Gasstreit von 2005 wirken insofern nach, das die derzeitige Stromgewinnung aus 75% Kohleverstromung Teil der energetischen Unabhängigkeit Polens und auch anderer Nachbarstaaten ist. Zudem gibt es eine etablierte Industrie mit Kraftwerken, Minen und Zulieferern, deren soziale Effekte durch Staat und Gewerkschaften geschützt wird. Ihre Meinungsführerschaft in diesem Bereich verhindert eine Kontroverse, die gegebenenfalls Kohlealternativen mehr Bedeutung in der Diskussion einräumen könnten. Seit 2016 sind die Projekte zum Aufbau alternativer Strukturen im Bereich der erneuerbaren Energien unter der derzeitigen Regierung sogar zum Erliegen gekommen. Der Staat als Hauptakteur dominiert die Diskussion insbesondere mit ökonomischen Argumenten, die nachhaltige Lösungen wegen vermeintlich hoher Investitionskosten marginalisieren. Diese argumentative Dominanz führt zudem auch zu einer mangelnden Wahrnehmung breiterer gesellschaftlicher Schichten für das Problem des hohen CO2-Ausstoßs durch die Kohleverstromung. Lediglich die liberaleren urbanen Gesellschaften in den polnischen Großstädten eröffnen teilweise durch EU geförderte Umweltprojekte kleinere Umdenkprozesse, deren Breitenwirkung aber lokal beschränkt bleibt.

In einem regionalen Ansatz stellte Matúš Mišik (Bratislava) in seinem Vortrag „Two paths, one common goal? Energy and climate policies in Germany and Central and Eastern Europe” die Energiewende in Europa im Vergleich von zentralosteuropäischen Staaten (Baltische Staaten, Polen, Tchechien, Slovakei, Ungarn und Rumanien) und Deutschland vor. Bemerkenswerst ist, dass der Rückgang der Treibhausemissionen in diesen Ländern nach 1990 insbesondere auf den Niedergang der Schwerindustrie zurückzuführen ist und nicht auf einen Wandel in der Energieproduktion. Vielmehr zeigt sich auch in einem vergleichenden transnationalen Ansatz, dass die osteuropäischen Staaten der Energiesicherheit einen Vorrang gegenüber der Energiewende und der Reduktion der Treibhausgasemissionen geben. Diversifikation der Energieimporte bedeutet in den allermeisten Fällen eine Kombination verschiedenerer fossiler Brennstoffe, zu denen nun auch Flüssiggas zählt, das über neue Terminals in Polen und Litauen in das Netzwerk gespeist wird. Eine größere nationale Unabhängigkeit erhofft man sich ebenso eher von der Atomenergie als von erneuerbaren Energien. Gleichzeitig wird die Atomenergie in den Diskursen als treibhausgasneutral angesehen und man argumentiert in diesen Fällen, dass hierdurch ein Beitrag zum Umweltschutz geleistet würde. Nationale, einheimische Energiegewinnung wird immer noch ein Vorrang vor transnationalen Lösungen gegeben. Dies führt unweigerlich zu einer Heterogenisierung von Infrastruktur, Energiequellen und den politischen Diskursen, die diese Unterschiede zu rechtfertigen versuchen.

Gegenüber dieser Analyse der ost- und nordosteuropäischen Energiestrukturen stellte Tomas Janeliūnas (Vilnius) in seinem Vortrag „Lithuanian  energy  strategy  and  regional  cooperation: aiming for a grand energy transformation“ die innovative Energiestrategie Litauens bis 2015 vor, die der Energiewende Deutschlands vergleichbar ist. Derzeit entstehen nur ca. 20% des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien, 25% entstammen der Gasverstromung, 39% aus Öl. 70% des Strombedarfs muss importiert werden. Die Strategie sieht vor, sich mittels „grüner“ Energie unabhängiger von Importen zu machen. Bis 2020 will Litauen sich in den EU Energiemarkt integriert haben. Bis 2030 soll der Preis für Strom für den Industriesektor in Litauen aus erneuerbaren Energien der günstigste in Europa sein. Bis 2050 sieht die Strategie vor, dass Litauen 80% seines Energiebedarfs aus erneuerbaren, emissionsfreien Energien gewinnt und diese zu 100% lokal produziert werden. Dieses ambitionierte Ziel soll ebenso wirtschaftlich wie auch sozial wirken.

Farid Karimi (Greifswald) stellte in seinem Vortrag die soziale Akzeptabilität von neuen Energieprojekten in den Vordergrund.  Bürgerenergieprojekte, die sich durch eine mehrheitliche Beteiligung lokaler Stakeholder, eine Stimmenmehrheit dieser Stakeholder und dem Verbleiben des Gewinns vor Ort auszeichnen, können für eine hohe soziale Akzeptabilität sorgen. Eine solche unterscheidet sich definitorisch von sozialer Akzeptanz, die top-down-organisiert in vielen Großprojekten Ziel der Energieunternehmen ist.  Der Ostseeraum bietet sich u.a. aufgrund seiner soziogeographischen Bedingungen prädestiniert für eine umfassende Untersuchung der sozialen Akzeptabilität an. Farid Karimi schlägt daher vor, eine solche Untersuchung im mixed-methods-Design durchzuführen.

Im letzten Vortrag stellten Anke Nordt und Stefan Ewert (Greifswald) vor, wie eine Energiegewinnung in Heizwerken, die Biomasse aus Paludikulturen verwenden, einen doppelten Klimaschutzeffekt generieren können. Das Greifswalder Moorzentrum hat dazu in den vergangenen Jahren eine Reihe von Praxistests in Pilotanlagen durchgeführt, die aufzeigen, dass sich mit der Nutzung wiedervernässter Moore (= Paludikultur) Heizwerke zu Wettbewerbspreisen betreiben lassen. Der Klimaschutzeffekt resultiert dabei zum einen durch die Substitution fossiler Energieträger, zum anderen durch die deutliche Reduktion der Emission von klimarelevanten Gasen aus entwässerten Mooren, die in einigen Ostseeanrainerstaaten einen erheblichen Anteil der anthropogen erzeugten Treibhausgasemissionen ausmachen. 

 

~ Alexander Drost
~ Stefan Ewert