Kanonisierung, Konfliktbehaftete Erbschaften, Kulturlandschaften und Präsentation des kulturellen Erbes im Ostseeraum

Kulturelles Erbe wird kollektiv bestimmt und bietet entscheidende Anknüpfungspunkte zur Auseinandersetzung mit Kulturbegriffen, Identitäten und Geschichtskonstruktionen. Derzeitige politische, sozio-kulturelle, ökologische, ökonomische und mediale Transformationsprozesse ziehen weitreichende Konsequenzen für die Auffassung des kulturellen Erbes nach sich. Dies zeigt sich unter anderem an der Faro-Konvention des Europarates (2005) oder dem Manifesto 2012 der Critical Heritage Studies, in denen dasKulturerbe nicht mehr national, sondern durch verschiedene heritage communities bestimmt wird. Zugleich stoßen Debatten um Fragen nach dem Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten in Museen des globalen Nordens neue Transformationsprozesse an. Dementsprechend plural und divers ist auch der Begriff des kulturellen Erbes zu fassen, das gleichermaßen identitätsstiftend und konfliktbehaftet, exklusiv und partizipativ ist.

Die leitende Hypothese des Teilprojektes ist es daher, Institutionalisierungen und Konturierungen von kulturellem Erbe als Schnittpunkte erratisch verlaufender Transformationsprozesse zu begreifen, die im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation, Beharren und beständiger Veränderung zu Neufassungen kulturellen Erbes führen. In dieser Hinsicht unterliegt das kulturelle Erbe einem kontinuierlichen Wandel, der durch spezifische miteinander verflochtene soziale, kulturelle, ökonomische und künstlerische Dynamiken und Triebkräfte bestimmt wird. Das Konzept des „geteilten Erbes“ eignet sich dafür, das Gemeinsame wie das Trennende und damit die ambivalenten Einflüsse auf die Konstruktion von Erbe zu fokussieren. Das Teilende ist dabei auch als materieller und medialer Zerfalls- und Aufspaltungsprozess zu verstehen, der aus dem Oszillieren zwischen Praktiken des Bewahrens und Dynamiken kultureller Produktion entsteht.

Untersucht wird daher, welchen vielfältigen Transformationen das kulturelle Erbe als Praxis und Artefakt, aber auch als Begriff gegenwärtig unterzogen wird und wie sich dies auf dessen Verständnis und Akzeptanz sowie auf eventuelle Neuausrichtungen für zukünftige Generationen auswirkt.

Dabei stehen vier Bereiche im Fokus, in denen gegenwärtige Transformationen des kulturellen Erbes im Ostseeraum besonders deutlich werden: